Im Einsatz gegen Gewalt und Diskriminierung

Quelle: Henning Busch, NWZ, 15.12.2020

 

Felix Agostini gibt Einblicke in seine Arbeit beim NFV-Team „Gesellschaftliche Verantwortung“. Dabei bekommt es der Obenstroher auch im Amateurfußball mit Spielabbrüchen nach rassistischen Beleidigungen wie zuletzt in der Champions League zu tun.

 

Der Aufschrei war groß, nachdem in der Vorwoche die Champions-League-Partie zwischen dem französischen Fußball-Meister Paris Saint-Germain und Basaksehir aus Istanbul abgebrochen werden musste. Grund: Der Vierte Offizielle soll Basaksehirs kamerunischen Assistenztrainer Pierre Webo rassistisch beleidigt haben. Die Profis beider Teams gingen danach vom Feld. Auch abseits der internationalen Fußballbühne, im Amateurbereich, kommt es auf den Sportplätzen immer mal wieder zu Diskriminierungen, bis hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.

 

Einer, der derartigen Entgleisungen auch aus beruflichen Gründen den Kampf angesagt hat, ist Felix Agostini. Der 31-jährige Obenstroher ist beim Niedersächsischen Fußball-Verband (NFV) in Barsinghausen an der Seite von Leiter Sebastian Ratzsch (Hannover) Mitarbeiter im Team „Gesellschaftliche Verantwortung“. Und zwar als Ansprechpartner der im Oktober eingerichteten NFV-Anlaufstelle für Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle.

 

Inakzeptable Vorfälle

„Klar ist, dass Gewalt und Diskriminierungen jeglicher Form auf unseren Fußballplätzen nichts zu suchen haben!“, betont Agostini: „Trotzdem müssen wir feststellen, dass gesamtgesellschaftliche Probleme auch den organisierten Fußball betreffen und es zu derartigen inakzeptablen Vorfällen leider auch auf Sportplätzen kommt.“

 

Schiedsrichter melden Vorfälle in Spielberichten

Damit der Deutsche Fußballbund (DFB) und die Landesverbände einen besseren Überblick über die genauen Fallzahlen und Vorfälle bekommen können, muss jeder Schiedsrichter seit der Saison 2014/2015 im Online-Spielbericht angeben, ob sich vor, während oder nach dem jeweiligen Spiel ein Gewalt- oder Diskriminierungsvorfall zugetragen hat. Ohne diese Angabe kann der Spielbericht nicht freigegeben werden. Sofern etwas vorgefallen ist, wird zusätzlich abgefragt, ob es sich um einen Gewalt- oder Diskriminierungsvorfall handelt, wer beschuldigt und wer geschädigt wurde, und ob der Vorfall sogar einen Spielabbruch zur Folge hatte.

 

„Es war eine gute Entscheidung, die Meldung von Vorfällen im Online-Spielbericht zu verankern, denn wir wissen heute mehr darüber, was sich auf unseren Fußballplätzen ereignet, als noch vor einigen Jahren und können gezielter gegen Gewalt und Diskriminierung vorgehen“, erklärt Agostini. Er nennt einige Zahlen aus dem Lagebild des DFB: In der Saison 2019/20 wurden bundesweit bei 0,45 Prozent aller erfassten Spiele im deutschen Fußballwettbewerb ein Gewalt- oder Diskriminierungsvorfall gemeldet. Zum Vergleich: In der Spielzeit 2017/18 waren es 0,49 Prozent und in der Saison 2018/19 dann 0,48 Prozent. In der vergangenen Saison 2019/20 gab es aufgrund der Vorfälle bei 0,03 Prozent aller Fußballspiele in Deutschland einen Spielabbruch (Saison 2017/18: 0,05 Prozent; Saison 2018/19: 0,05 Prozent). Ausgehend von rund 60 000 stattfindenden Fußballspielen an Spitzenwochenenden wurden in der Vorsaison bundesweit demnach 18 Spiele an solchen Wochenenden abgebrochen.

 

Zwar bewege sich die Zahl der bekannt gewordenen Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle im Amateurfußball, gemessen an der Gesamtzahl der Spiele, im unteren Promillebereich. „Doch ist für uns eines klar: Jeder einzelne Vorfall ist schlicht und ergreifend ein Vorfall zu viel“, unterstreicht Agostini: „Denn mag der Wert prozentual auch noch so klein sein, relativiert er in keiner Weise das Leid der Betroffenen.“

 

Betroffene unterstützen

Den Kern seiner Arbeit beschreibt der 31-Jährige wie folgt: „Bezogen auf den jeweiligen Einzelfall geht es neben der eindeutigen öffentlichen Positionierung vor allem darum, Betroffene zu schützen und zu unterstützen.“ Dabei seien Sanktionsmaßnahmen gegen die Täter durch die Befugnisse der Sportgerichtsbarkeit ein Mittel, das im Idealfall zu einer Änderung der Einstellung und des Verhaltens führen könne. Daneben stelle die NFV-Anlaufstelle „eine ergänzende Komponente unserer Strukturen zum professionellen und nachhaltigen Umgang mit gesellschaftlichen Problemen wie Gewalt und Diskriminierung“ dar.

 

Dem NFV-Team ist es zurzeit besonders wichtig, dass die neue Anlaufstelle möglichst vielen Fußballern in Niedersachsen bekannt wird. Und diese bei Bedarf auch darauf zurückgreifen. „Wenn Sie das Gefühl haben, dass auf oder neben dem Spielfeld etwas geschehen ist, was mit den Themen Gewalt, Diskriminierung, Rassismus oder Extremismus zu tun hat, dann scheuen Sie sich nicht, eine Meldung abzugeben“, hatte NFV-Präsident Günter Distelrath Anfang Oktober bei der offiziellen Eröffnung der Anlaufstelle betont. Agostini ergänzt: „Melden kann sich wirklich jeder per E-Mail oder Telefon, der im Zusammenhang mit Gewalt- und/oder Diskriminierungsvorfällen im niedersächsischen Fußball Unterstützungs- bzw. Beratungsbedarf sieht.“ Das können etwa Spieler, Trainer, Betreuer, Vereinsvertreter, Schiedsrichter, Zuschauer oder Eltern sein. „Meine Aufgabe ist es dann, zunächst einmal ein offenes Ohr zu haben, das Anliegen des oder der Meldenden ernst zu nehmen und es zu erfassen“, erklärt Agostini: „Gemeinsam erörtern wir dann mögliche Handlungsoptionen zur Bearbeitung des jeweiligen Vorfalls.“ Im Anschluss ist er dann für die Koordination und Vermittlung jeglicher Unterstützungs- und Beratungsangebote zuständig. Sprich, er stellt Kontakt zu den Konfliktbeteiligten her, vermittelt passende Beratungsangebote und kümmert sich um die Nachbereitung eines Vorfalls.

 

Spielabbruch provoziert

Ein konkretes Beispiel, das klare Parallelen zum bitteren Vorfall in Paris aufweist: Bei einem Männer-Spiel im niedersächsischen Amateurbereich war es zu einem Spielabbruch gekommen, der letztlich durch rassistische Äußerungen von Zuschauern des Heimvereins provoziert worden war. Daraufhin weigerte sich die betroffene Mannschaft, das Spiel fortzusetzen. „Ich wurde von den Verantwortlichen des Heimvereins kontaktiert“, berichtet Agostini. Dort habe man die Vorfälle zum Anlass nehmen wollen, die Themen Diskriminierung und Rassismus im Verein zu thematisieren und dafür zu sensibilisieren, um mehr Handlungssicherheit beim Umgang mit zukünftigen Vorfällen zu erlangen. „Neben einer persönlichen Einschätzung und Unterstützung habe ich in solchen Fällen in erster Linie die Möglichkeit, unser bestehendes Netzwerk zu nutzen“, sagt Agostini. In diesem Fall stellte der Obenstroher den Kontakt zwischen dem Verein und Mitarbeitern des Projekts „Sport mit Courage“ vom LandesSportBund Niedersachsen (LSB) her. Diese haben Vereine bei ähnlichen Vorhaben schon häufig begleitet und beraten.

 

Zur Person

Schon während seines Studiums in Sportwissenschaften und Betriebswirtschaftslehre hat Felix Agostini Erfahrungen im organisierten Fußball gesammelt. Etwa durch Praktika bei Werder Bremen und beim DFB. Zum Schreiben seiner Masterarbeit kehrte der Obenstroher vom Studienort Bielefeld in seine Heimat zurück. Seitdem hat sich der 31-Jährige als Vorstandsmitglied der Fußballabteilung im TuS Obenstrohe in zahlreichen Projekten engagiert. 2018 wurde Agostini dafür mit dem DFB-Ehrenamtspreis und der Aufnahme in den Club 100 des DFB ausgezeichnet. So gab es damals schon Berührungspunkte mit dem Niedersächsischen Fußballverband. Seit August 2019 ist Agostini als NFV-Mitarbeiter des Teams „Gesellschaftliche Verantwortung“ und seit Oktober 2020 als Ansprechpartner der Anlaufstelle für Gewalt und Diskriminierungsvorfälle in der Geschäftsstelle in Barsinghausen tätig. Seinen Wohnsitz hat er allerdings wieder nach Bielefeld verlegt – auch weil dort einige seiner Freunde leben. War Agostini in der Vorsaison noch für Kreisliga-Aufsteiger TuS Obenstrohe II sportlich im Einsatz, läuft er seit dieser Spielzeit für den in einem Stadtteil von Bielefeld beheimateten Kreisligisten TuS Quelle auf.

 

Neben der Tätigkeit beim NFV ist Agostini nach wie vor ehrenamtlich für den TuS Obenstrohe aktiv. „Das ist mein Heimat- und Herzensverein, für den ich den Spielbetrieb organisiere und die Öffentlichkeitsarbeit koordiniere“, sagt er: „Natürlich gestaltet sich das nicht immer ganz so einfach, wenn man nur selten vor Ort ist. Aber es macht mir nach wie vor große Freude.“

 

Bild zur Meldung: Sport mit Courage - Geballt gegen Diskriminierung und Gewalt